Mathematische Marginalien
Klassisches und Kurioses aus der Mathematik

Urmels Zwillingsplanet

In dem Kinderbuch Urmel fliegt ins All[Kruse 2001] besucht das Urmel (natürlich in Begleitung von Prof. Habakuk Tibatong, Wutz und den meisten anderen Bewohnern von Titiwu) den Planeten Futura. Dieser ist ein Zwillingsplanet der Erde, der in exakt gleichem Abstand wie die Erde die Sonne umkreist, sich allerdings immer genau gegenüber von der Erde auf der anderen Seite der Sonne befindet, weshalb er auch nie zu sehen ist. Abgesehen davon, dass ein solcher Planet Bahnstörungen bei Mars, Venus und Merkur verursachen würde und daher nicht lange unentdeckt bliebe, ist die Frage interessant, ob für den Fall, dass dieser Planet ebenfalls einen Zwillingsmond hätte, der mit den gleichen Bahndaten wie der Erdmond den Zwillingsplaneten umkreist, nicht dieser Mond ab und zu hinter der Sonnenscheibe auftauchen müsste.

Diese Frage lässt sich mit allgemein bekannten  astronomischen Daten durch Kopfrechnen  entscheiden:

Unter der Voraussetzung, dass die Zwillingserde sich von der Erde aus betrachtet immer genau hinter dem Mittelpunkt der Sonnenscheibe befindet, geht es bei der Frage darum, unter welchem Winkel einerseits das System Zwillingsplanet–Zwillingsmond und andererseits die Sonnenscheibe dem Erdbeobachter erscheinen.

Die Sonne ist bekanntlich 8 Lichtminuten von der Erde entfernt, also ist der Zwillingsplanet 16 Lichtminuten entfernt. Der Mond ist etwa 1 Lichtsekunde von der Erde entfernt, daher beträgt der Durchmesser der Bahn des Zwillingsmondes um den Zwillingsplaneten etwa 2 Lichtsekunden. Der Tangens des halben Winkels, unter dem die Bahn des Zwillingsmondes erscheint, ist demnach \[\tan\frac{\varphi}{2} = \frac{1''}{16'}= \frac{1}{960}\]

Der Durchmesser der Sonne gehört nun nicht zu den allgemein bekannten astronomischen Daten. Aber es ist allgemein bekannt, dass Sonne und Mond am Himmel fast gleich groß erscheinen. Die Entfernung des Mondes mit rund 400000 km kann man sicher zu den bekannten Daten zählen, seinen Durchmesser von etwa 3500 km eher nicht. Vielleicht hat man sich aber gemerkt, dass der Monddurchmesser etwa $1/3$ des Erddurchmessers ist, rund $12000/3 = 4000.$ Damit ergibt sich für den Tanges des halben Winkels, unter dem der Mond und damit auch die Sonnenscheibe erscheint: \[ \tan\frac{\psi}{2} = \frac{\frac{1}{2}4000}{400000} = \frac{1}{200} \]

Für kleine Winkel ist $\tan\varphi \simeq \varphi$ (Kleinwinkelnäherung), so dass man grob sagen kann, dass der scheinbare Durchmesser des hypothetischen Zwillings-Systems etwa $1/4$ des scheinbaren Sonnendurchmessers betragen würde. Ein solches Zwillings-System wäre demnach von der Erde aus nicht  sichtbar.

Zu dem gleichen Resultat hätte man natürlich auch ohne jede Rechnerei kommen können, einfach aufgrund der Tatsache, dass die Sonne mit ihrem Durchmesser von ungefähr 1,4 Millionen km reichlich Platz bietet, um das gesamte Erde-Mond-System in sich zu beherbergen. Allerdings bezweifele ich, dass diese Tatsache zu den allgemein bekannten astronomischen Daten gehört.

Ob eine Zwillingserde überhaupt realistisch ist, müsste genauer untersucht werden. Einerseits sollte die Verbindungslinie Zwillingserde - Erde wohl zu jedem Zeitpunkt durch den Sonnenmittelpunkt gehen, denn andernfalls, würden die Zwillingsplaneten aufeinander periodisch wechselnde, vermutlich destabilisierende Gravitationskräfte ausüben. Andererseits ist das nicht mit dem 2. Keplerschen Gesetz vereinbar. Aufgrund dessen muss der Radiusvektor in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreichen, der Planet also im Aphel eine geringere Bahngeschwindigkeit haben als im Perihel. Der gespiegelte Planet kann also nicht auf der gleichen Umlaufbahn wie die Erde laufen, sondern die Bahn muss ebenfalls gespiegelt sein, d.h. die Sonne steht für die Erde in einem Brennpunkt der Ellipse für Futura im anderen Brennpunkt. Ob eine solche Konfiguration auf Dauer stabil ist, auch unter Berücksichtigung des Einflusses von Venus und Merkur, die ja offensichtlich nicht gespiegelt sind, kann aber wohl nur Neschnem Kopf Otto im Kopf ausrechnen.

Auf einer Website, die dem Thema Java und Mathematik gewidmet ist, kommt man natürlich nicht umhin, ein kleines Java-Programm bereitzustellen, das die Bewegung der Planeten im Gravitationsfeld der Sonne simuliert. Man begebe sich also auf die Seite mit den Java Programmen, wo man dieses Programm mit dem Namen Newton finden kann. Die Simulation eines Systems mit dem Zwillingsplaneten Futura lässt sich mit wenigen Klicks starten, aber ich werde hier selbstverständlich nicht ausplaudern, was dabei herauskommt.